Es ist spannend, sich in Downtown Detroit einfach an eine Straßenkreuzung zu stellen. Du bist was Du fährst. Es gibt schrottreife Toyotas, Kias und Plymouth (baugleich mit alten Opel Kadett), die quietschend, klappernd, oft nur noch von Tape zusammengehalten durch die Skyscraper-Schluchten humpeln.
Ihre Besitzer können sich kein neues Auto leisten. Die NAIAS? Die Menschen haben andere Sorgen. Da biegt ein Ford Mustang neueren Datums um die Ecke. Der Fahrer hat trotz 10 Grad Minus das Fenster geöffnet und hört „Theme from Shaft“. Shaft, der erste schwarze TV-Ermittler im US-Fernsehen, in den späten 1960ern eine Fernseh-Sensation. Und ungefähr 3,5 Lichtjahre cooler als Tatort-Till Schweiger. „Can you dig it?“
Nakia
Die Häuserschluchten eignen sich besonders für V8-Soundchecks, was der Fahrer (sieht nach „Red Neck“ aus, wird wahrscheinlich Trump wählen) eines gigantischen Ford F150-Pick-Trucks mit Doppelkabine auch macht. „Blubber, Blubber“. Und da, eine Business-Frau im GLK. „Sex and the City“ lässt grüßen.
Ich bin mit Nakia Daneé Thomas verabredet. Meiner Fahrerin. Einmal quer durch die Motor City und dann zur Fabrik von Detroit Diesel, Kollegen besuchen. Nakia fährt für den Shuttle Service von Mercedes-Benz bei der Auto Show. Sie fährt unser Dickschiff „GL“, trägt einen Chauffeurs-Anzug mit Schlips und smarter Cap und besitzt ein Lächeln von hier nach New York. „How ya doin‘ ?“ Wie alle Detroiter ist sie unheimlich stolz auf ihre Stadt.






Eine Stadt, die mich ein wenig an Berlin erinnert, voller baulicher Brüche und Widersprüche, die niemals ist und immer wird. Hundert Jahre alte Backstein-Häuser neben Brachflächen und Hochhäusern, wie dem Renaissance Center von General Motors. 83 Stockwerke. Lift draußen angebracht. Höhenangst! Der (Profi-)Sport ist den Detroitern sehr wichtig. Wir fahren an den Stadien von den Detroit Lions (Football), den Red Wings (Eishockey) und den Detroit Tigers (Baseball) vorbei.
Die Menschen im Detroiter Jojo
Seit den 1970er Jahren geht es mit der Wirtschaft im Staat Michigan stetig ab und wieder bergauf: Ölkrise, Bankenkrise, Auto-Konzern-Krisen. In Ausmaßen und mit sozialen Folgen für die Menschen, die wir uns, im gemütlichen Deutschland, kaum vorstellen können. What goes up, must come down. Spinning wheel, round and round. „Aber seit drei Jahren tut sich wieder was“, sagt Nakia. Die Menschen würden wieder mehr Jobs finden, die New Economy hätte Motown erreicht, es gäbe wieder mehr Tourismus.
Nakia braucht für ihr Auskommen drei Jobs. Sie ist Fahrerin, arbeitet in einer Bank und in einer Bar. Und träumt von einem Mercedes. „Mit dem GL zu fahren ist eigentlich keine Arbeit für mich“, lächelt sie. Wir fahren zum Outer Drive über die Eight Mile Road, die durch Eminems Film berühmt wurde.
Wunderschöne, leerstehende oder sanierungsbedürftige Stein- und Holzhäuser der Gründerzeit stehen hier. Sie scheinen zu schlafen. „Es wäre schön, wenn das Leben hier eines Tages zurückkehren würde“, sagt Nakia.
Detroit (Diesel)
Wir erreichen die Fabrik von Detroit. Drei Fahnen vor dem Eingang. Die Detroit-Flagge, das Star Spangled Banner und, welcome home, die Flagge von Daimler. Detroit ist eine Tochtergesellschaft von Daimler. Ich treffe Pamela Esshaki. Sie ist die gute Seele des Werkes: Ingenieurin, Ansprechpartnerin in allen Lebenslagen, Kumpel und Chefin.
Pamela arbeitet als Qualitätskoordinatorin im Montageprozess für die Motoren. Sie unterstützt zusätzlich alle drei Schichten bei der Qualitätsmessung und dem Betrieb der Prüfstände, betreibt Feldforschung im Service bei den Kunden und gibt Werksführungen für Vertrieb, Marketing und Personal. Die können dann schon mal einige Stunden dauern. Einfach, weil Pamela ihren Job liebt und gerne jeden Winkel des Werks zeigen möchte.
Pamela ist tough (taff)
Taff ist sie außerdem. „Als ich hier anfing, 1973, war ich die einzige Frau bei Detroit Diesel mit vielen Kollegen, die aus dem Vietnam-Krieg kamen“, so Pamela. „Du kannst Dir vorstellen, mit denen war nicht zu spaßen und sie haben es mir nicht gerade leicht gemacht.“ Sie ist 60 Jahre alt, wirkt aber zwanzig Jahre jünger. „Detroit Diesel oder jetzt „Detroit“ ist mein Leben“, sagt sie. „Warum sollte ich jetzt schon aufhören? Gerade jetzt?“ Ich glaube auch sofort, dass sie schwer zu ersetzen wäre.
Sie hat die wechselhaften Zeiten erlebt, als es schlecht lief, sie freigestellt wurde, die Eigentümer wechselten, tausende von Kollegen gehen mussten. Jetzt, zusammen mit Daimler, sind sie auf dem Weg zur Hightech-Schmiede. Viele neue, sparsame Dieselmotoren wurden in den vergangenen Jahren auf den Markt gebracht. Detroit produziert – neben Achsen – nun auch beispielsweise komplexe Turbolader.
Das gemeinsame Getriebe
Ein besonderes technisches Highlight ist das neue, vollautomatische Getriebe für die Freightliner-Trucks und viele andere Trucks von Daimler weltweit: „DT12“ Ein Projektteam aus deutschen und US-amerikanischen Spezialisten stellte es auf die Zahnräder. Anders als in Deutschland sind US-Trucks heute oft immer noch mit manuellen, unsynchronisierten Getrieben ausgestattet. (Gilt bei US-Truckern als männlich , es krachen zu lassen) Jedoch steigt das Interesse an automatisierten Getrieben wie dem DT 12 auch auf dem US-Getriebemarkt. Schwankende Dieselpreise rücken den Verbrauch der Trucks immer weiter in den Fokus.
Hier können die gewichtsoptimierten und effizienten Getriebe punkten. Auch wird es für die US-Spediteure zunehmend schwieriger, gut ausgebildete Fahrer zu finden, die mit den vorherrschenden, manuellen Getrieben sparsam und materialschonend umgehen können. Pamela besitzt übrigens einen LKW-Führerschein, klar. „Ich kann mit allen Getrieben umgehen“, lächelt sie. Und mit ihren Kollegen auch: Wenn sie durchs Werk läuft, heißt es alle fünf Meter: „Hi, how are you, good to see you!“ Das kann anhand der Mitarbeiterzahl bei Detroit ihr also gut 3000 Mal am Tag passieren.
Präzison wie bei AMG
In der letzten alten Halle am Outer Drive gibt es noch einen 80-jährigen Holzboden, der fast einhundert Jahre Geschichte und Öl aufgesogen hat. Einige hundert Meter weiter sieht es fast wie in Affalterbach bei AMG aus. Sowas von sauber! Es gibt Prüfstände für die Motoren und Getriebe. Neue Fertigungsstraßen werden errichtet, es ist für eine Fabrik relativ leise, die Arbeiter montieren ruhig und reibungslos zusammen mit Fertigungsrobotern und autonom fahrenden Lieferkarren.
Über 200 neue Arbeitsplätze sollen in Kürze bei Detroit entstehen. Pamela führt mich zu den Produktionsanlagen für Turbolader. Die Schaufelräder der Turbinen werden per Laser gecheckt und gereinigt, jedes Teil bekommt ein imprägniertes Label mit den Daten, wann es gebaut wurde, oder von welchem Zulieferer geliefert.-Von wegen irgendwas „zusammenhauen“, „American way of drive“.






Das hier ist Präzision pur. Pamela lässt von jedem Kunden an den Werkswänden Aufkleber anbringen. Wer bei Detroit Diesel kauft, kommt auf die „wall of fame“. Und die Kunden sind stolz darauf. Auch das ist amerikanisch. Ich bekomme zum Abschied ein DD-Käppi geschenkt und bin jetzt „part of the family“.
Auftritt in Studio „A“
„Und jetzt?“, fragt Nakia. „Hast Du noch ein Ziel?“ Habe ich: Motown Records, das Museum. Das Detroiter Plattenlabel schrieb in den 60er und 70er Jahren Musikgeschichte mit unzähligen Stars: Marvin Gaye, Stevie Wonder, Michael Jackson mit den Jackson Five, Diana Ross, Temptations…
Mit einer kleinen Führung (ich darf leider keine Fotos machen) durch das ehemalige Wohnhaus gelangen wir in den Keller. Genannt das „Studio A“. Das gesamte Equipment – Mischpult, Flügel, Schlagzeug, Mikrofone – steht seit dem Aus des Labels vor 40 Jahren noch unverändert da. Als hätte Stevie Wonder gerade erst den Raum verlassen. „Möchte jemand was singen?“, fragt der Snoop Dogg-ige Museumsführer. „Ihr Touristen könnt doch eh nicht singen, oder?“
I’ve got sunshine on a cloudy day,
When it’s cold outside I’ve got the month of May
Well I guess you’d say What can make me feel this way?
My girl (my girl, my girl) Talkin‘ ’bout my girl (my Girl)
Nakia kann singen. Und wie. Thank you for this great day, Nakia and Pamela!