Der Weg eines Geschenks vom Schenker zum Kind
Man könnte jetzt auch keine Lust mehr auf Weihnachten haben. Bereits seit Ende Oktober verspeise ich unfreiwillig Weihnachtskekse und gefühlt fingen die ersten TV-Jahresrückblicke mit Günther Jauch und Co schon im August an. Und was eben auch noch weit weg schien, wird bald gruselige Wirklichkeit: Der Besuch der Verwandten. Da machen wir es uns dann schön gemütlich. Wie bei Loriot. „Besuch“, sagt meine Oma (94) „ist wie Fisch. Nach drei Tagen fängt er an zu stinken.“ Dich besuche ich gerne, Oma! Für einen Tag, wie gewünscht. Sie meint immer noch, mir zu Weihnachten Geld schenken zu müssen. “Junge, kauf´ Dir was Schönes”. Dabei habe ich genug. Ich kann mir eigentlich alles kaufen, was ich brauche. Und bin damit bei Daimler bestimmt keine Ausnahme. Baden-Württemberg ist wirtschaftlich stark, brummt durch die Automobilwirtschaft. Und doch: Es gibt hier in Stuttgart viele Familien, die ihren Kindern an Heiligabend kein Geschenk geben können. Das Geld reicht nicht.
Vor mir liegt ein Paket: Darin liegen Stifte, ein Malblock, zwei Tüten Gummibärchen und sogar ein Hubschrauber von Lego zum Zusammenbauen. Gepackt wurde es von Daniel Tischler, Systemmechaniker im 1. Lehrjahr in Esslingen/Brühl. „Ich wollte Kindern über die Daimler-Mitarbeiter-Aktion „Schenk ein Lächeln“ helfen, die Weihnachten nicht so viel wie wir bekommen. Ich möchte Eltern unterstützen, die nicht die Möglichkeit haben, große Geschenke zu machen.“ Daniel Tischler hat sich in seiner Geschenk-Kategorie einen Jungen zwischen fünf und neun Jahren ausgesucht. „Ich habe einen Bruder, er ist vier Jahre alt. Ich kann mich deswegen gut in kleinere Kinder hineinversetzen. Der würde gerne mit dem Helikopter spielen und malt gerne. -Und Süßigkeiten essen sie ja auch alle gerne“ meint Daniel. „Wir hätten am liebsten die Päckchen persönlich an die Kinder übergeben, aber das ist leider nicht möglich. Die Geschenke werden ja zentral verteilt, geht ja gar nicht anders,“ sagt Daniel Tischler. Ich biete ihm an, sein Geschenk für ihn mitzunehmen und, aus dem Truck wieder ausgeladen, persönlich zu übergeben. „Soll ich dem Jungen etwas ausrichten?“ frage ich Daniel Tischler. „Hoffentlich wird er viel zeichnen. Und vielleicht bekommt der Junge ja noch mehr Legosteine geschenkt, und kann sich mehrere Sachen bauen. Das wünsche ich ihm. Einen Helikopter hat er ja jetzt schon“ sagt Daniel. Ich nehme das Paket für Daniel Tischler mit. Ein paar Tage später treffe ich bei einer anderen Sammelstelle von „Schenk ein Lächeln“ im Werk Untertürkheim Ingrid Poppe, Projektleiterin bei der „Schwäbischen Tafel“ und Edgar Heimerdinger, Vorsitzender des Landesverbands. Die Tafel unterstützt bundesweit Bedürftige durch Kleidung und Nahrung aus Spenden und übernimmt für uns Daimler-Mitarbeiter die Verteilung der Weihnachtsgeschenke in ihren Tafelläden.
„Wie und woran erkenne ich Armut im reichen Baden Württemberg, im reichen Stuttgart?“ frage ich Ingrid Poppe. „Zu unseren Läden kommen viele Menschen, denen man die Armut ansieht. Mittlerweile erkenne ich dies an der Kleidung, oder wie die Menschen frisiert sind. Es gibt aber auch viele Menschen, denen man es nicht ansieht. Die einfach noch ihre Sachen bei sich behalten haben, um ihre Fassade aufrecht zu halten, weil sie sich schämen. Es ist besonders schlimm für die Kinder, weil man es ihnen erklären muss, warum die einen etwas haben und man selbst nicht. Besonders an Weihnachten ist es traurig, weil die Eltern nicht genug Geld haben, um ihren Kindern was zu schenken“ sagt Ingrid Poppe. „Armut kann jedem passieren. Es kommen viele Menschen zu uns, die sehr über die eigene Lage erschrocken sind. Die hätten nie gedacht, dass sie jemals in die Situation kommen und dann passiert es doch. Sie verlieren ihre Arbeit. Sie rutschen in eine Spirale und dann immer weiter herunter. Über Hartz IV und wenig Einkommen ist es sehr schwer, da wieder herauszukommen. Man findet selbst durch einen Mini-Job im Anschluss nicht die besser bezahlte Arbeit, durch die man sich aus dem Schlamassel ziehen kann. Manch einer findet nie wieder heraus“ weiß Ingrid Poppe. Die Spaltung der Gesellschaft verläuft also nicht mehr zwischen arbeitenden und nicht arbeitenden Menschen. Sondern kreuz und quer. Und mittendrin stehen die Läden der Tafel.
„Es bedeutet den Menschen viel, dass sie direkt etwas von Daimler-Mitarbeitern bekommen: Sie wissen, es könnte theoretisch auch mein Nachbar sein, der mir das geschenkt hat”, sagt Edgar Heimerdinger über „Schenk ein Lächeln“. „Es ist nicht nur eine Spende, die von einem großen Konzern kommt. Es ist eine Sache der Freiwilligkeit der Mitarbeiter, denen es Freude macht, etwas zu geben. Das zeigt sich ja an den steigenden Zahlen von Mitarbeitern, die etwas schenken.“ Fast 8000 Geschenke haben die Mitarbeiter von Daimler hier im Süden für die Tafelläden in Baden-Württemberg gesammelt. Statistisch betrachtet sind es 320 Prozent mehr als im letzten Jahr und ein Rekord seit der ersten Schenk ein Lächeln-Aktion vor sechs Jahren.
Ortswechsel: Tafelladen- Hauptstädter Straße in Stuttgart. Vor der Einrichtung eine Menschen-Schlange, bald 20 Meter lang. Hier kann man günstig einkaufen, gespendete Lebensmittel, die noch nicht verfallen sind. Heute haben alle Eltern ihre Kinder mitgebracht. Ein freudiges Gedränge vor der Ecke des Marktes, in der die Geschenke der Daimler-Mitarbeiter aufgestapelt sind. Die ehrenamtlichen Helfer tun Ihr Bestes, um Eltern und Kinder in der Menschenmenge zu bedienen. Und müssen hier und da auch einschreiten. Es gibt ältere Kinder, die sich mehrfach anstellen. Auf Nachfrage lügen sie die Helfer an, sie hätten noch nichts bekommen. Es ist eben auch ein Gesetz der Armut: Nimm´ mit, was Du kriegen kannst.
Max* macht große Augen. Er hat soeben das Paket von Daniel Tischler ausgepackt. Am meisten freut er sich über den Helikopter. „Ich habe schon ein paar Lego-Teile, da kann ich dann noch was anderes daraus bauen“ sagt er und zeigt die Verpackung stolz seiner Mutter. Die Familie muss trotz zweier arbeitender Elternteile mit ungefähr 700 Euro im Monat auskommen. Und Max hat noch eine Schwester.
Also, Daniel, Du siehst, Dein Geschenk ist angekommen! Ich soll Dir viele Grüße und ein Dankeschön von der Familie ausrichten. Falls Du Dich beim Betrachten des Fotos wunderst: Ich habe noch ein kleines Modellauto in das Paket dazugetan…und weißt Du was? Ich finde Weihnachten doch nicht so schlecht. Oma, ich komme!
Hier geht es zum Video: Daimler-Weihnachtsaktion – Schenk ein Lächeln
*Name von der Redaktion geändert