Vertrauenserweckend ist das auf den ersten Blick nicht: Aus dem Cockpit des Sprinter, den ich beim TecForum zur Probe fahren kann, gucken Kabel mit Steckern, scheinbar ohne Funktion, heraus. Aber das ist ja gerade das Spannende: Heute kann ich echte Sprinter-Prototypen fahren, die noch mitten in der Erprobungsphase stecken. Mit „Camouflage-Tarnung“. Messgeräten. Und schon allen neuen funktionstüchtigen Systemen an Bord, die die Van-Welt verändern werden, das ist schon heute sicher.
Denn bis heute müssten eigentlich viele Handwerker, Lieferanten oder Camper neben dem Führerschein auch einen „Segelschein“ besitzen. Beim Überholen eines Lkw oder Befahren einer Autobahnbrücke können starke Windböen Fahrzeuge mit hohem Aufbau gefährlich zum Abdriften bringen.
Auf der Bosch-Teststrecke in Boxberg konnte ich die Auswirkungen von Seitenwind ohne Gefahr selbst ausprobieren. „Fahren Sie bitte in der ersten Runde mit 110 km/h an der Windmaschine vorbei“ weist mich Christian Kutzera, einer der TecForum-Instruktoren von Mercedes, an. Ok, also durch die Steilkurve (leicht mulmiges Gefühl) und auf die lange Gerade. „Wumm“ macht es, als ich an den großen Turbinen der Windmaschine vorbeifahre und der Sprinter versetzt schlagartig um circa einen Meter nach links. Ich lenke stark dagegen und der Sprinter fährt wieder in der Spur. „Jetzt die zweite Runde, diesmal mit dem Seitenwind-Assistenten“ sagt Christian Kutzera. Aufs Gas, jetzt kommt die Windmaschine und – bevor das Auto der Windeböe nach links folgt, spüre ich die Neigung des Fahrzeugs, im Cockpit erscheint eine Warnleuchte, dann erfolgt ein relativ sanfter Bremseingriff. Der Sprinter bleibt exakt in der Spur. Wie geht das? „Die Sensoren des ESP erkennen sowohl konstanten Seitenwind als auch plötzliche Böen oder sich aufbauenden Seitenwind in der jeweiligen Stärke und registrieren zusätzlich, aus welcher Richtung der Wind bläst. Und die Sensoren des Assistenzsystems bemerken ebenfalls Fahrzeuggeschwindigkeit, Beladungszustand, Beladungslage und sogar das Lenkverhalten des Fahrers. 2Steuern Sie manuell gegen, tritt der Seitenwindassistent automatisch zurück“ so Christian Kutzera.
Solche „Hightec“ hätte ich eher in der E- oder S-Klasse als im Sprinter erwartet. Mercedes-Benz Vans nutzt bei der Entwicklung der neuen Assistenzsysteme auch das Know-how der Konzernforschung und die Erfahrung der Pkw- und Nutzfahrzeugsparten. Und das nicht erst seit heute: Beim Sprinter wurde bereits 1995 das Antiblockiersystem ABS und im Jahr 2002 das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP eingeführt Im Jahr 2006 folgte die Weiterentwicklung zum ADAPTIVE ESP. Es bezieht das aktuelle Gewicht und die Schwerpunktlage des Fahrzeugs mit ein. Beide ESP-Generationen senkten die Unfallzahlen jeweils drastisch.
Insgesamt hat der Fahrer des neuen Sprinter, der später in diesem Jahr Premiere feiert, „fünf Freunde“ an Bord: Neben dem Seitenwind-Assistenten signalisiert der Abstandswarn-Assistent Fahrern einen zu geringen Abstand auf vorausfahrende Fahrzeuge sowie ein Stauende, der sogenannte „Totwinkel-Assistent“ informiert beim Spurwechsel über gefährlich nahe Fahrzeuge auf der benachbarten Fahrbahn. Alle 3 Systeme sind Weltpremieren in der Van-Klasse. Ebenfalls neu sind der Spurhalte-Assistent und der Fernlicht-Assistent.
Auch den Abstandswarn-Assistenten und den Assistenten mit dem leicht gruseligen Namen „Tot-Winkel“ konnte ich testen- wirklich narrensicher, und das will bei mir was heißen. Der Abstandswarn-Assistent warnt bei zu geringem Abstand sowie bei akuter Kollisionsgefahr, wenn sich ein bereits gefährlich geringer Abstand weiter vermindert. Ein Radarsensor im vorderen Stoßfänger misst ständig den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zueinander. Daraus errechnet der Abstandswarn-Assistent den nötigen Sicherheitsabstand. Sinkt der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug unter den notwendigen Sicherheitsabstand, warnt das Assistenzsystem den Fahrer mit einer aufleuchtenden Leuchte im Kombiinstrument. Nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Kollision durch weiter sinkenden Abstand zu, beginnt die Leuchte zu blinken und es ertönt zusätzlich ein Warnton. Diese zweite Warnstufe setzt etwa drei Sekunden vor einem Aufprall ein und gibt dem Fahrer die Chance zu einer Notbremsung oder für ein Ausweichmanöver.
Zusätzlich aktiviert der Abstandswarn-Assistent bei Gefahr einer Kollision den ebenfalls neuen Brake Assist pro. Dieser adaptive Bremsassistent berechnet die notwendige Bremskraft für eine Notbremsung, um einen Aufprall zu verhindern. Der Bremsassistent wird bei einer kräftigen Betätigung des Bremspedals eingeleitet. Während des Bremsmanövers wird der Bremsdruck anhand der Daten des Abstandswarn-Assistenten bei Bedarf entsprechend nachgeregelt- bremse ich also zu lasch, wird der notwendige Bremsdruck für eine Zielbremsung also erhöht. Der Abstandswarn-Assistent ist ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h wirksam. Er reagiert nicht nur auf vorausfahrende, sondern auch auf stehende Hindernisse, zum Beispiel auf ein Stau-Ende. In Boxberg haben wir versucht, auf eine „aufgeblasene“ A-Klasse, die auf einem Anhänger vor dem Sprinter hergezogen wurde, aufzufahren- schier unmöglich.
Danach habe ich noch versucht, einen versetzt neben mir fahrenden Citan von der Straße abzudrängen. Der Totwinkel-Assistent war entschieden dagegen. „Mr. Totwinkel“ hilft dem Fahrer zusätzlich, indem er ihn bei einem Spurwechsel vor anderen Fahrzeugen im sogenannten toten Winkel warnt. Das System arbeitet ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h. Vier Nahbereich-Radarsensoren sind links und rechts auf der Höhe der seitlichen Rammschutzleisten im Bereich der B-Säule sowie der hinteren Ecksäule angebracht und decken den Bereich der benachbarten Fahrspuren ab. Erkennen die Sensoren während der Fahrt ein Auto oder Motorrad im toten Winkel, erscheint ein rotes Warnsignal im Außenspiegel auf der entsprechenden Seite. Erkennt das Sicherheitssystem, dass der Fahrer trotzdem die Spur wechseln will, wird er zusätzlich mit einem akustischen Signal gewarnt. Da müsste man schon ziemlich taub oder sehschwach sein, um nicht zu reagieren und sollte sich vielleicht überhaupt nicht mehr ans Steuer setzen.
Zukünftig müssen also Transporter-Fahrer zumindest bei Mercedes-Benz viel weniger mit Gefahren oder Elementen kämpfen als mit ihrem Image. Zum Beispiel dem Image vom „rücksichtslos rasenden Paket-Service“. In der Realität aber sind Transporter in punkto Unfallhäufigkeit eher unauffällig. So ist das Unfallgeschehen von Transportern dem von Personenwagen ähnlich, hat jüngst ein gemeinsamer Forschungsbericht der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Dekra, Unfallforschung der Versicherer (UDV) und des Verbands der Automobilindustrie (VDA) festgestellt. Die Zahl der Unfälle hängt mit Bestand und Kilometerleistung zusammen. In Deutschland zum Beispiel verdoppelte sich die Zahl der Transporter mit Lkw-Zulassung in 20 Jahren von rund einer Million auf etwa zwei Millionen Fahrzeuge. Die durchschnittliche Fahrleistung von Transportern mit 2,8 bis 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht liegt mit zirka 21.000 km um knapp 80 Prozent höher als die von Pkw (11.900 km). Das Fazit des Forschungsberichts zur Unfallhäufigkeit: Bei Berücksichtigung des Bestands und der Fahrleistung ist das Risiko geringer als bei Pkw. Auch das war für mich eine neue Erkenntnis beim TecForum 2013. Und: Wäre doch eigentlich gut, wenn in jedem Auto immer fünf Freunde, von mir aus auch Assistenten, dabei wären…
Filmaufnahmen von myvan